Die Pastoralbriefe (1 Tim, 2 Tim, Tit) wurden in der historisch-kritischen Exegese oft stiefmütterlich
behandelt. Mit ihrem pseudepigraphen Charakter galten sie als „unecht“, „spät“ und deswegen oft als
typische Dokumente eines konservativen Frühkatholizismus.
In der Exegese der letzten Jahre zeichnet sich allmählich ein Wandel dieser Einschätzung ab: In den
Pastoralbriefen finden wir ein literarisches Testament des Apostels, das die wichtigsten Stationen seines
Lebens in einer Art Briefroman Revue passieren lässt.
Sie versuchen daher in dauerhaft lebbare Strukturen umzusetzen, was in früheren Briefen des Paulus noch
unproblematisch nebeneinanderstehen konnte: das jüdische Erbe und die neue Botschaft von Gottes
Gesalbten Jesus. Aus dem Erbe des Paulus versuchen die Briefe eine gemeinsame verbindliche Grundlage
für die unterschiedlichen Gemeinden des Apostels zu schaffen. Dazu gehören bereits hier die späteren
notae ecclesiae: Der Apostel sendet seine Schüler Timotheus und Titus in seine Gemeinden, damit sie die
Heiligkeit bewahren, für deren Zeugnis er selbst jetzt in den Tod geht. Die Briefe sind daher ein Band der
Einheit für die Gemeinden des Paulus. Timotheus und Titus werden von lokalen Amtsträgern in der
liturgischen Versammlung in ihrer Arbeit unterstützt. Gleichzeitig wird das alltägliche Zusammenleben in
der Familie zum Ort des missionarischen Zeugnisses und der Vertiefung des Glaubens an Jesus Christus.