Was die moderne Exegese den „Jakobszyklus“ nennt, heißt in der Bibel „Toledot Jizchaq“ (Familiengeschichte Isaaks: Gen 25,19-35,29). „Zwei Knaben von entgegengesetztem Sinne balgen sich schon unter dem Herzen der Mutter. Sie treten ans Licht: der ältere lebhaft und mächtig, der jüngere zart und klug; jener wird des Vaters, dieser der Mutter Liebling. Der Streit um den Vorrang, der schon bei der Geburt beginnt, setzt sich immer fort. Esau ist ruhig und gleichgültig über die Erstgeburt, die ihm das Schicksal zugeteilt, Jakob vergisst nicht, dass ihn sein Bruder zurückgedrängt. Aufmerksam auf jede Gelegenheit, den erwünschten Vorteil zu gewinnen, handelt er seinem Bruder das Recht der Erstgeburt ab und bevorteilt ihn um des Vaters Segen. Esau ergrimmt und schwört dem Bruder den Tod. Jakob entflieht, um in dem Lande seiner Vorfahren sein Glück zu versuchen. … Auch in diesem Glauben tritt Jakob seinen Zug an, und wenn er durch List und Betrug unsere Neigung nicht erworben hat, so gewinnt er sie durch die dauernde und unverbrüchliche Liebe zu Rahel, um die er selbst aus dem Stegreife wirbt. … er sollte viele Söhne um sich sehen, aber auch durch sie und ihre Mütter manches Herzeleid erleben“ (Goethe, Dichtung und Wahrheit IV). Ziel der Vorlesung ist es, die Erzählungen von Jakob-Israel nicht nur als Perle der Weltliteratur, sondern auch als Offenbarungszeugnis sprachlich, literarisch und theologisch zu analysieren, um mit ihnen nachzuvollziehen, wie in Liebe und Eifersucht, Verliebtheit und Hass, Idealismus und Verschlagenheit Gott sich mitteilt und im souveränen Zusammenspiel mit der menschlichen Freiheit (und ihren allzu häufigen Ausrutschern, ja Entgleisungen) alles zu dem von Ihm gewollten Ende führt.