„Die Philosophie ist ein Kampf gegen die Verhexung unseres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache“, schreibt Ludwig Wittgenstein, einer der Gründerväter der analytischen Sprachphilosophie, die sich konsequenterweise als kritische Philosophie oder philosophische Kritik versteht. Anders ausgedrückt, die Philosophie der Sprache kämpft gegen die Mythen, die mit ihrem Gebrauch einhergehen. An der Wiege der philosophischen Mythenbildung steht eine primitive Bedeutungstheorie, wonach die Bedeutung des Wortes der Gegenstand ist, für den das Wort steht, so die Diagnose Wittgensteins. Wörter vertreten Gegenstände. Der Gegenstand, für den das Wort steht, ist seine Bedeutung.

Mit dieser Gleichsetzung fangen die Schwierigkeiten an. Was sind das für Gegenstände, für die unsere Wörter stehen? Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts glaubten die meisten Philosophen, dass Wörter Bedeutung haben, weil sie für innere Repräsentationen äußerer Dinge in unserem Geist stehen. Bevor der Mensch sprechen kann, muss er ein Denker sein. Denken geht sprachfrei vor sich. Die Annahme der Existenz mentaler Repräsentationen verbindet alle klassischen Denker mit den Vertreterinnen und Vertreter der modernen Kognitionswissenschaft. Es macht keinen Unterschied, ob sich die mentalen Repräsentationen in der Seele, im Bewusstsein, im Gehirn oder auf dem Rechner materialisieren.

 

Der Mythos des Mentalismus ist so verheerend, weil er unser Menschsein verzerrt und ein einseitiges Bild unserer Intentionalität entwirft. Das Sündenregister des Mentalismus ist lang: Denken ist ein innerer Monolog, sprachfreie Wesen können denken, Begriffe sind mentale Repräsentationen, die Sprache ist ein Mittel der Informationsübertragung, Bedeutungen supervenieren über Sprecherintentionen.

 

Philosophische Mythen lassen sich nicht direkt widerlegen, man denke an den Platonismus, den Spinozismus, die starke künstliche Intelligenz (KI). Die beste Art der Kritik besteht darin, ihnen ein gewandeltes Bild des Verhältnisses von Denken und Reden, Sprechen und Handeln, Individuum und Gemeinschaft, Wort und Begriff, Ausdrücken und Repräsentieren entgegenzusetzen. Die analytische Sprachphilosophie hatte und hat dem Mentalismus etwas entgegenzusetzen. In der Vorlesung werden wir wichtige Stationen der „Vertreibung der Gedanken aus dem Bewusstsein“ (M. Dummett) und ihrer Beheimatung in der Sprache (L. Wittgenstein) Revue passieren lassen.

Literatur

Charles Taylor, Das sprachbegabte Tier. Grundzüge des menschlichen Sprachvermögens, Berlin 2017

Gerald Posser / Matthias Flatscher, Sprachphilosophie. Eine Einführung (UTB 4126), Wien 2016

Nikola Kompa (Hg.), Handbuch Sprachphilosophie, Stuttgart 2015

Heinrich Watzka, Sprachphilosophie (Grundkurs Philosophie Band 11), Stuttgart 2014

Jonas Pfister (Hg.), Texte zur Sprachphilosophie, Stuttgart 2011

John R. Searle, Sprechakte [Speech Acts, dt.], Frankfurt am Main 1983

Robert B. Brandom, Begründen und Begreifen [Articulating Reasons, dt.], Frankfurt am Main 2001